Maria Szymanowska - Europatour in der postkutsche

was neben der Französischen Revolution so geschah…

1789 fand nicht nur die Französische Revolution statt - auch Maria Szymanowska wurde in Warschau geboren, relativ in der Mitte ihrer neun Geschwister. Schon als Kind gab sie im Familienhaus Konzerte auf dem Spinett – aber immer mit großem Lampenfieber, besonders wenn es viele Gäste gab. Bald wurde sie über Polens Grenzen hinaus bekannt: In ihrem Stammbuch, das wie ein Gästebuch scheint, trugen sich Komponisten wie Felix Mendelssohn-Bartholdy und Antonio Salieri ein. Mit nur 21 Jahren heiratete sie Jozef Szymanowski, der beruflich mit Tabak handelte – und ihr Cousin war. Immer noch in Warschau lebend arbeitete sie als Pianistin und Komponistin, spielte in stadtbekannten Salons und konzentrierte sich auf Salonmusik wie Lieder und Klavierminiaturen, da sie nicht besonders gut ausgebildet war, um dem damaligen Trend entsprechend mehrstimmige Vokalmusik zu schreiben.

Aber wie finanzierte sie das alles?

Ja, ihre Familie sowie ihr Ehemann waren reich. Maria wollte aber unabhängig sein und war neben der Konzerttätigkeit auch Klavierlehrerin. Um Unterricht bei ihr zu erhalten, reisten manche Pianist*innen von weit her an, wie zum Beispiel Franz Xaver Mozart. Frauen durften damals nicht öffentlich Werbung für ihren Unterricht machen, dennoch war sie in kürzester Zeit erfolgreiche Klavierlehrerin und spielte in den besten Häusern Warschaus.

Quelle Foto: Von Autor/-in unbekannt - [1], Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=51522415

Ähnlich wie Elisabetta de Gambarini einige Jahrzehnte vorher, wollte Szymanowska nicht nur für sich komponieren und kleine Konzerte spielen. Um sich noch etwas dazuzuverdienen und endlich ihre Kompositionen mehr Menschen zugänglich zu machen, veröffentlichte sie als zweite Frau überhaupt mit dem Verlag Breitkopf und Härtel, den es immer noch gibt, 70 Klavierminiaturen. Das war für damals ein unglaublicher Erfolg, war es doch immens schwierig, als Komponistin ernst genommen und gar veröffentlicht zu werden, vor allem von einem Verlag, der nur die besten Komponist*innen aufnahm.

Reise in die komplette Unabhängigkeit als Frau – und das um 1820! 

Ihr Mann hatte kein Verständnis für ihre Musik, er hatte sogar geplant, mit der Familie aufs Land zu ziehen, wodurch Maria kaum mehr auftreten oder unterrichten hätte können. Ungewöhnlich für damals reichte sie die Scheidung ein, entschied sich für ein Leben in der Kunst und Musik und lebte mit ihren Kindern in Warschau, ohne Mann. Weil aber Warschau allein nicht groß genug war, um oft aufzutreten und neue Künstler*innen kennenzulernen, machte sich Maria 1822 auf ihre erste Konzertreise. Reisen war in diesen Jahren nicht gerade bequem, sondern recht teuer und langsam, das hielt sie aber nicht davon ab, nach Russland zu reisen und der Zarenfamilie vorzuspielen, auch Deutschland besuchte sie, Goethe wurde ein großer Fan. Einen „weiblichen Vulcan, der alles vollends versengt“ nannte er sie und ihr Klavierspiel!

Historische Klaviermusik Fehlanzeige - Maria Szymanowska spielte, anders als die meisten Pianist*innen heute, nur zeitgenössische Musik, Beethoven, Hummel, Field waren Klassiker in ihrem Repertoire. Fun Fact: Szymanowska machte die Gattung der Nocturne noch vor Chopin bekannt, war also eine Vorreiterin in diesem Thema!

Was sagten damalige Kritiker*innen?

Wir besitzen leider keine Tonaufnahmen aus dieser Epoche, deshalb möchte ich dir hier ein paar Kritikerstimmen zeigen, die das Spiel der Komponistin beschreiben:

Geistreich, bereichernd, das Gefühl bis in die Fingerspitzen, eine außergewöhnliche Anschlagskraft. Der Flügel wird zu einem Farbenapparat unter ihren Händen. Glänzend, voll Energie, präzise.

Keine Angst, es gibt nicht nur bewundernde, romantisierende Bekundungen, denn Felix Mendelssohn-Bartholdy schrieb in einem Brief: „Ich schwieg und wunderte mich. Man hat, wies mir scheint, ihr hübsches Gesicht mit ihrem nicht hübschen Spiel verwechselt.“ Du siehst also, schon vor über 200 Jahren war Musikgeschmack subjektiv, nicht jedem gefällt, was andere spielen.

Wie klangen denn Klaviere damals? 

Wenn du dir zeitgenössische Klaviermusik anhörst oder selbst spielst, wirst du merken, dass manchmal der komplette Flügel als Instrument benutzt wird, inklusive Innenleben, Saiten, Korpus und einer Spannweite von 88 Tasten. Maria Szymanowska, die als Kind noch auf einem Spinett spielte, konnte nicht auf einem Steinway spielen, den wir heute kennen. Dennoch durfte sie in London das neuartigste Instrument ausprobieren, mit ganzen 6,5 Oktaven – das spiegelt sich auch in den Kompositionen wider, denn wenn es nicht 88 Tasten gibt, wird auch die Musik dementsprechend komponiert und lebt in einem kleineren Tonumfang. Im Video unten zeigt dir die Pianistin Tiffany Poon historische Klavier im Schumann Haus aus genau dieser Zeit:

Grand Tour – reisefreudiger als so manche Menschen es selbst 2023 sind 

Reisen machte Maria Szymanowska wohl viel Spaß, denn trotz der langen Kutschenfahrten besuchte sie mehrmals Paris, dann London, Genf, Mailand, Rom Neapel. Klingt wie das Pendant zu Popstars, die 2023 eine Welttournee hinlegen. Länger blieb sie jedoch in London, spielte wie in der Serie Bridgerton zu sehen an den Höfen der Herzogen und Gräfinnen, knüpfte viele Kontakte und verdiente recht viel Geld mit Konzerten und Unterricht, das sie ihrer Familie in Polen zukommen ließ.

1831, sie war gerade wieder in Polen, herrschte dort ein Choleraausbruch, niemand wusste genau, wie man sich davor schützen konnte und verhalten sollte. Mit nur 42 Jahren starb Maria Szymanowska schließlich an Cholera, wie jede zweite Person, die damals daran erkrankt war.

Polonaise in F Moll

M. Szymanowska

Was kannst du von Maria Szymanowska spielen?

Ich wurde auf diese Komponistin aufmerksam, als ich mich durch den Notenband Women Composers von Melanie Spanswick spielte – hier kannst du die Noten bestellen und es dir im Video unten anhören. Es handelt sich um eine recht einfach zu spielende Klavierminiatur, die man in den ersten Jahren des Spielens erlernen kann – und mit dem Wissen, das du jetzt über Maria Szymanowska hast, macht es bestimmt gleich noch mehr Freude, das Werk zu spielen!

Folgende Noten(bände) fand ich auch recht interessant und empfehlenswert, auch wenn man nur etwas vom Blatt spielen oder sich schnell ein paar Miniaturen aneignen möchte:

Nocturne Etüden Album

 

Let me know – was findest du besonders spannend? Kannst du dir vorstellen, was es bedeutet hat, durch (gefühlt) ganz Europa mit einer Postkutsche zu reisen? Oder sich damals scheiden zu lassen, weil einem die Musik zu wichtig ist, um darauf wegen einer Ehe zu verzichten?

Quellen:

Gwizdalanka, Danuta: Der weibliche Vulcan, Die Pianistin und Komponistin Maria Szymanowska, Harrasowitz Verlag, Wiesbaden, 2023

Danuta Gwizdalanka, „Frauen in der polnischen Musikgeschichte“, in: Jahrbuch Musik und Gender 2 (2009), S. 39–50.

Beatrix Borchard, „Reisende Künstlerinnen im 19. Jahrhundert“, in: Le musicien et ses voyages, (= Music Life in Europe 1600-1900, Bd. 1: Concert et publics en Europe entre 1700 et 1920), hrsg. von Christian Meyer, Berlin 2003, S. 173–201.

 

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Grażyna Bacewicz (und ein Online Spiel!)

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